Stierkampf in Andalusien

Kaum eine spanische Tradition spaltet die Gemüter so sehr wie die Corrida. Hier erfährst du alles, was du über den andalusischen Stierkampf wissen solltest – seine Geschichte, seinen Ablauf und warum seine Zukunft ungewisser ist denn je.
Stierkampf Andalusien
Der Matador in der Stierkampfarena ( Motmot / Shutterstock.com )

Die Geschichte des Stierkampfs in Spanien

Die Wurzeln des Stierkampfs reichen tief in die Vergangenheit zurück – viel weiter, als du vielleicht denkst. Schon vor über 3.000 Jahren finden sich auf griechischen Vasen und kretischen Fresken erste Darstellungen von Mensch-Stier-Begegnungen. In Spanien selbst entwickelte sich die Tradition bereits im Mittelalter.

Ursprünglich handelte es sich um eine Art Opferzeremonie, bei der entweder der Stier oder der Torero mit dem Leben bezahlte – ein weit dramatischeres Spektakel als heute. Damals war es eine Domäne des Adels: Auf Pferden reitende Edelleute jagten die Tiere mit Lanzen, Messern und Schwertern.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich alles grundlegend. Diese lebensgefährliche Variante wurde verboten, und es entstanden feste Regeln für den Kampf mit den 450 bis 700 Kilogramm schweren Kampfstieren. Ein entscheidender Wandel, der den Stierkampf zu dem machte, was er heute ist.

Der Ablauf eines Stierkampfs

Die Regeln der Tauromaquia

Du wirst erstaunt sein: Der moderne Stierkampf folgt einem über 200 Jahre alten Regelbuch! Im Jahr 1796 schrieb der berühmte Torero José Delgado y Gálvez (genannt Pepe Hillo) die »Tauromaquia« nieder – ein Werk, das bis heute als Richtlinie gilt.

Diese Regeln haben alle vorherigen Abläufe abgelöst und machen die Corrida zu einem strengen Ritual.

Der Präsident der jeweiligen Arena wacht über die korrekte Durchführung. Er besitzt die höchste Autorität und kann den Kampf eröffnen, unterbrechen oder sogar ganz absagen – eine Macht, die er durchaus auch nutzt, wenn es die Umstände erfordern.

Das große Theater beginnt

Wenn du bei einer Corrida dabei bist, erlebst du zunächst ein faszinierendes Schauspiel: Zwei historisch gekleidete Reiter galoppieren zur Präsidentenloge, verneigen sich ehrfürchtig und erbitten symbolisch die Eröffnung. Dann beginnt der große Einmarsch – ein Spektakel für sich!

Mit mitreißender Paso-doble-Musik marschieren die drei Matadore mit ihrem kompletten Gefolge in die Arena. Jeder Matador wird von zwei Lanzenreitern auf gepanzerten Pferden (Picadores) und zwei bis drei Lanzenstechern zu Fuß (Banderilleros) begleitet. Der ranghöchste Matador eröffnet traditionsgemäß den ersten Kampf.

Du wirst beeindruckt sein, wie sich der Torero zunächst seinem Publikum präsentiert: In seinem prachtvollen »Traje de luces« (Lichtgewand) vollführt er tänzelnde Bewegungen, die schon für sich genommen eine kleine Show sind.

Die drei Akte des Kampfes

Der eigentliche Kampf dauert maximal 20 Minuten und gliedert sich in drei streng geregelte Akte:

1. Tercio de varas – Das Kennenlernen

Zunächst testen die Banderilleros mit dem roten Tuch (Muleta) das Temperament des Stiers, während der Matador aus sicherer Entfernung beobachtet.

Erst wenn das Publikum mit lautem »Olé« danach ruft, betritt er die Mitte der Arena. Dann beginnt das berühmte Spiel mit dem roten Tuch und den charakteristischen Drehungen, den sogenannten »Veronicas«.

2. Tercio de banderillas – Die Schwächung

Im zweiten Akt wird das Tier strategisch mit Lanzen und Banderillas im Nacken verletzt.

Das mag brutal klingen, hat aber einen »technischen« Grund: Der durch den Schmerz gesenkte Kopf des Stiers bietet dem Matador im letzten Akt die entscheidende Öffnung.

3. Tercio de muerte (Faena) – Das Finale

Erst jetzt kann der Matador den finalen Stoß zwischen die Schulterblätter setzen. Das Publikum entscheidet anschließend durch das Schwenken von Taschentüchern, ob der Matador würdig ist, dem Stier Ohren und gegebenenfalls den Schwanz abzuschneiden – die höchste Ehre für einen Torero.

Besonders mutige Stiere werden nach ihrem Tod von Pferden durch die Arena geschleift – ein letzter Tribut an ihre Tapferkeit.

Hemingways berühmte Beschreibung

Der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway prägte mit seinem Essay »Tod am Nachmittag« das internationale Bild des spanischen Stierkampfs nachhaltig. Seine nüchterne Analyse bringt die Asymmetrie des Spektakels auf den Punkt:

Der ganze Stierkampf basiert auf der Tapferkeit des Stiers, seiner Einfalt und seinem Mangel an Erfahrung.

Besonders fasziniert war Hemingway vom andalusischen Matador Manuel García, genannt Maëra – einem Torero, der die Kunst der Corrida perfektioniert hatte.

Die andalusischen Kampfstiere

Wenn du durch Andalusien reist, wirst du schnell verstehen, warum diese Region für die Zucht von Kampfstieren weltberühmt ist. Die besonders kampfwütigen Tiere aus dieser Gegend gelten als die besten der Welt.

Einige Zuchtbetriebe kannst du sogar besichtigen – viele liegen entlang der »Ruta del Toro« in der Provinz Cádiz. Ein besonderer Tipp ist die Stierzucht des Reservatauro Ronda.

Aber Vorsicht: In der Nähe von Stierweiden solltest du dich vorsichtig verhalten! Diese athletischen Tiere können problemlos über Zäune und Gräben springen – und dich schnell als unfreiwilligen Sparringspartner betrachten.

Legendäre Toreros aus Andalusien

Andalusien hat die größten Legenden des Stierkampfs hervorgebracht – Männer, deren Namen noch heute in jeder Tapas-Bar mit Ehrfurcht ausgesprochen werden.

Manuel Rodríguez Sánchez – »Manolete« (1917–1947)

Der wohl berühmteste Torero aller Zeiten stammt aus Córdoba und revolutionierte den Stierkampf mit seinem eiskalten, eleganten Stil.

Manolete war berühmt für seinen geradezu melancholischen Ernst in der Arena – er lächelte nie, zeigte keine Emotionen. Seine Technik war so perfekt, dass er die Stiere näher an sich heranlassen konnte als jeder andere.

Das wurde ihm schließlich zum Verhängnis: 1947 wurde er in Linares von einem Stier namens »Islero« tödlich verletzt. Sein Tod erschütterte ganz Spanien, und noch heute pilgern Fans zu seinem Grab in Córdoba.

Manuel Benítez Pérez – »El Cordobés« (geboren 1936)

Der komplette Gegensatz zu Manolete! Während Manolete ernst und förmlich war, brachte dieser andere Córdobeser den Rock'n'Roll in die Arena.

El Cordobés war ein Showman par excellence – er sprang über Stiere, kämpfte auf den Knien und erfand spektakuläre neue Bewegungen.

Aus bitterarmen Verhältnissen kommend, wurde er zum Millionär und Popstar der 1960er Jahre. Die Puristen hassten ihn, das Publikum liebte ihn. Seine verrückten Auftritte füllten jede Arena.

Francisco Rivera Pérez – »Paquirri« (1948–1984)

Aus Zahara de los Atunes in der Provinz Cádiz stammend, war Paquirri nicht nur ein technisch herausragender Torero, sondern auch eine Medienlegende.

Verheiratet mit der Sängerin Isabel Pantoja, lebte er im Rampenlicht. Sein Tod 1984 in Pozoblanco war ein nationales Trauma – die Bilder seines letzten Kampfes gingen um die Welt.

In seinem Heimatort Zahara erinnert heute ein Museum an den charismatischen Matador.

Juan Belmonte – »El Pasmo de Triana« (1892–1962)

Dieser Sevillaner gilt als der Erneuerer des modernen Stierkampfs. Belmonte, klein und scheinbar ungeeignet für die Arena, entwickelte eine völlig neue Technik: Statt wegzulaufen, ließ er die Stiere ganz dicht an sich vorbeigehen.

»El Pasmo de Triana« (das Wunder von Triana) kämpfte über 30 Jahre lang und inspirierte Generationen von Toreros. Ernest Hemingway widmete ihm bewundernde Zeilen.

Auf seinem Landgut bei Sevilla, der Finca Gómez Carpio, nahm er sich 1962 das Leben.

José Tomás Román Martín – »Joselito« (1895–1920)

Obwohl aus der Extremadura stammend, machte dieser Torero in den andalusischen Arenen Karriere und gilt als einer der technisch perfektesten Stierkämpfer überhaupt.

Zusammen mit Juan Belmonte bildete er das berühmteste Rivalitäts-Duo der Stierkampfgeschichte. Die beiden Freunde und Konkurrenten trieben sich gegenseitig zu immer größeren Höchstleistungen.

Joselito starb tragisch jung – mit nur 25 Jahren wurde er 1920 in Talavera de la Reina von einem Stier getötet.

Francisco Romero (1700–1763)

Der Begründer der Stierkampfdynastie aus Ronda gilt als Erfinder der Muleta – des kleinen roten Tuchs, das bis heute verwendet wird.

Die Familie Romero prägte den Stierkampf über vier Generationen. Franciscos Enkel Pedro Romero (1754–1839) soll in seiner Karriere über 5.500 Stiere getötet haben, ohne je verletzt zu werden – ein bis heute unerreichter Rekord.

Die jährliche Feria Goyesca in Ronda ist den Romeros gewidmet, und ihre Tradition lebt in der berühmten Real Maestranza de Caballería weiter.

Diese Legenden haben nicht nur den Stierkampf geprägt, sondern sind Teil der andalusischen Identität geworden. In vielen Bars und Restaurants der Region findest du noch heute ihre Porträts an den Wänden – stumme Zeugen einer Zeit, als die Toreros die unangefochtenen Helden Andalusiens waren.

Wo und wann du Stierkämpfe erleben kannst

Noch heute finden in Andalusien – besonders in Sevilla, Málaga und Ronda – von März bis Oktober regelmäßig Stierkämpfe statt. Die spektakulärsten Corridas erlebst du während der großen Volksfeste:

Die älteste Stierkampfarena Spaniens steht übrigens in Ronda. Seit 1785 werden hier Kämpfe ausgetragen – ein Ort, den viele Touristen als echtes Highlight ihrer Andalusienreise betrachten.

Praktische Tipps für deinen Arena-Besuch

Falls du dich entscheidest, dir einen Stierkampf anzusehen, hier ein paar bewährte Ratschläge:

Was du mitbringen solltest

  • Ein kleines Sitzkissen (die Steinbänke sind knallhart)
  • Ein weißes Stofftaschentuch zum Schwenken
  • Das Kissen kannst du übrigens auch in die Arena werfen – als Zeichen deiner Begeisterung oder deines Unmuts

Ticketkauf

Kaufe deine Tickets niemals bei dubiosen Verkäufern vor der Arena! Die wollen dich nur abzocken. Gehe direkt zur Tageskasse (Taquilla) – es ist sehr selten, dass Stierkämpfe komplett ausverkauft sind.

Die wichtigste Entscheidung: Sol o sombra?

Die Hauptfrage beim Ticketkauf lautet: »Sol o sombra?« (Sonne oder Schatten). Durch die runde Architektur liegt immer ein Teil der Arena in der Sonne, ein Teil im Schatten.

Auf den Sonnenplätzen wirst du zweieinhalb Stunden lang gnadenlos gebrutzelt – dafür sind sie billiger. Die Toreros bevorzugen meist die schattige Seite, sodass du auf den Sonnenplätzen möglicherweise nicht alles mitbekommst.

Eine mittlere Preislage bieten Plätze »Sol y sombra« – teils Sonne, teils Schatten im Verlauf des Nachmittags.

Der beste Platz

An der Kasse wirst du nach deiner bevorzugten Tendida (Abschnitt) gefragt. Tendida 7 bietet die besten Plätze für echte Stierkampf-Fans – falls du es ernst meinst.

Insider-Wissen

Wenn du pünktlich kommst, sitzt du zunächst nur zwischen Touristen. Die Einheimischen verbringen die erste halbe Stunde traditionell mit einem Drink in den umliegenden Bars.

Solltest du deinen Platz nicht finden, wird dir ein freundlicher Mayordomo gegen ein kleines Trinkgeld gerne weiterhelfen.

Die ungewisse Zukunft des Stierkampfs

Der Stierkampf steht heute an einem Scheideweg. Während Diktator Franco ihn noch als Symbol spanischer Identität gefördert hatte, wächst der Widerstand stetig. Die Kritiker bezeichnen die Tradition als Tierquälerei und fordern ein landesweites Verbot.

Erste Erfolge haben sie bereits erzielt: Auf den Kanarischen Inseln (seit 1991) und in Katalonien (2012) finden keine Stierkämpfe mehr statt. 125 Gemeinden haben sich bereits gegen die Abhaltung von Corridas entschieden.

Der politische Kampf

Die Situation ist vertrackt: Ein Gesetz von 2013 erklärte den Stierkampf zum besonders schützenswerten spanischen Kulturerbe. Daraufhin zwang das Verfassungsgericht Katalonien 2016, den Stierkampf wieder zuzulassen – gegen den Willen der regionalen Regierung.

Eine Petition der Bewegung »No es mi cultura« mit über 715.000 Unterschriften hat das Parlament in Madrid nun erneut zum Handeln gedrängt. Doch die Politiker zeigen wenig Eile, sich mit einem möglichen Verbot auseinanderzusetzen.

Die Argumente beider Seiten

Die Befürworter argumentieren, dass nur der Stierkampf die Zucht dieser besonderen Stiere ermögliche. Diese lebten jahrelang ein gutes Leben auf der Weide und müssten lediglich 20 Minuten in der Arena leiden. Außerdem sei die Stierzucht eine wichtige Einnahmequelle für ländliche Gebiete.

Die Gegner verweisen nicht nur auf das Tierwohl, sondern auch auf die jährlichen Todesfälle bei schlecht gesicherten Stierkämpfen oder beim »Bullrun« durch Städte.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Anführerin der Anti-Stierkampf-Petition, Elise Dunweber, Engländerin ist. In der derzeit aufgeheizten Stimmung gegen den Massentourismus kommt ihr Anliegen bei vielen Spaniern nicht gut an – unabhängig von seinem Inhalt.

Paradox dabei: Umfragen zeigen, dass 80 % der befragten Spanier gegen den Stierkampf sind. Die Diskussion bleibt also spannend und ist längst nicht beendet.

Ob du dir als Besucher einen Stierkampf anschaust, bleibt natürlich deine persönliche Entscheidung. Wichtig ist, dass du dir bewusst machst, was dich erwartet – sowohl das jahrhundertealte Ritual als auch die ethischen Fragen, die damit verbunden sind.

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