Typisch spanisch! - Vorurteile und Wahrheit über Spanien

Ein Survival-Guide für alle Spanien-Klischees
Du planst eine Spanienreise? Glückwunsch, dann wirst du dich durch einen Parcours aller Vorurteile kämpfen, die seit 1960 unverändert in deutschen Reiseführern stehen.
Hier ist dein ultimativer Guide, um in Spanien nicht völlig überrascht zu sein, wenn die Realität auf deine Erwartungen trifft – spoiler alert: meistens tut sie das nicht.
Die heilige Siesta – nationaler Schlafkult oder Touristenfalle?
Ah, die Siesta! Das berühmteste spanische Export-Klischee nach dem Flamenco. Du denkst, ganz Spanien macht von 14 bis 17 Uhr kollektiv ein Nickerchen? Herzlichen Glückwunsch, du bist auf den größten Tourismus-Mythos seit »In Italien sprechen alle mit den Händen« reingefallen.
Die Wahrheit ist profaner: Die Geschäfte schließen, weil die Besitzer Mittag essen wollen, nicht weil sie vom Schlafdrang überwältigt werden. Moderne Spanier sind genauso müde von Siesta-Witzen wie Deutsche von Lederhosen-Kommentaren.
Aber keine Sorge – die Tradition lebt weiter in jedem deutschen Reiseführer und in den Träumen erschöpfter Touristen, die um 15 Uhr verzweifelt einen Kaffee suchen.
Flamenco – weil alle Spanier geboren werden und sofort klatschen können
Natürlich kann jeder Spanier Flamenco tanzen, genau wie jeder Deutsche Lederhosen trägt und jeder Brite um Punkt 17 Uhr Tee trinkt.
Die Realität sieht so aus: Flamenco ist hauptsächlich andalusisch, und selbst dort schauen viele Einheimische genervt weg, wenn wieder eine Touristengruppe verzückt auf eine Straßenshow starrt.
Der echte Flamenco findet in kleinen Bars statt, wo alte Männer weinen und junge Frauen ihre Seele in komplizierten Fußbewegungen ausschütten.
Touristenflamenco erkennst du daran, dass er um 20 Uhr anfängt (viel zu früh), das Publikum fotografiert (verboten im echten Flamenco) und die Tänzerin ein Lächeln trägt (echte Flamenco-Tänzerinnen leiden auf der Bühne).
Sangria – das süße Gift der Urlaubserinnerungen
Nichts schreit so laut »Ich bin Tourist« wie das Bestellen einer Sangria um 14 Uhr mittags. Spanier trinken Sangria ungefähr so oft, wie Deutsche Weißwurst zum Frühstück essen – nämlich nie, außer wenn Touristen zuschauen.
Echte Spanier trinken Bier (Cerveza), Wein (Vino) oder wenn sie richtig durchdrehen, einen Tinto de Verano (Rotwein mit Zitronenlimo).
Insider-Tipp: Bestelle Sangria nur, wenn du zeigen willst, dass du Tourist bist. Alle anderen bestellen ein Bier oder schauen dich mitleidig an.
Mañana, mañana – die Kunst der kreativen Zeiteinteilung
»Mañana« bedeutet nicht »morgen«. Es bedeutet »irgendwann, wenn die Sterne richtig stehen, der Kaffee gut war, und ich Lust darauf habe«. Deutsche Pünktlichkeit trifft auf spanische Realitätsflexibilität. ein kultureller Clash, der schon Beziehungen beendet hat.
Der Klempner kommt »mañana« (übersetzt: nächste Woche, vielleicht). Das Restaurant öffnet um 20 Uhr (übersetzt: 20:30, wenn der Koch da ist). Die Behörde bearbeitet deinen Antrag »heute noch« (übersetzt: nächsten Monat, falls das Formular richtig ausgefüllt ist).
Spanier haben ein entspanntes Verhältnis zur Zeit entwickelt, das deutsche Ingenieure zur Verzweiflung bringt und gestresste Großstädter heimlich beneiden.
Paella – das Nationalgericht, das keiner richtig kann
Paella ist wie die deutsche Currywurst – jede Region behauptet, sie hätte die einzig wahre Rezeptur. Valencianische Paella hat Kaninchen und Bohnen (keine Meeresfrüchte!). Paella Mariscos hat Meeresfrüchte (kein Kaninchen!). Paella Mixta hat alles zusammen und wird von Puristen gehasst.
Touristenpaella erkennst du am Safran-gelben Reis, der verdächtig nach Lebensmittelfarbe aussieht, und daran, dass sie um 15 Uhr serviert wird. Echte Paella wird mittags gegessen, dauert 30 Minuten Zubereitung, und wird NIEMALS aufgewärmt.
Warnung: Frage niemals einen Valencianer nach dem »besten« Paella-Rezept, außer du hast drei Stunden Zeit und starke Nerven.
Tapas – kleine Teller, große Verwirrung
Tapas sind Spaniens genialste Erfindung zur Touristenverwirrung. Das Konzept ist einfach: kleine Portionen verschiedener Gerichte. Die Ausführung ist kompliziert: In manchen Regionen sind sie kostenlos zum Drink, in anderen bezahlst du pro Häppchen Mondpreise.
Deutsche Urlauber bestellen systematisch acht verschiedene Tapas, rechnen den Preis um, und stellen fest, dass sie für dasselbe Geld ein ganzes Schnitzel hätten haben können. Spanier bestellen drei Tapas, teilen sie mit vier Leuten, trinken dazu Bier, und nennen es Abendessen.
Der Trick: Tapas sind nicht gedacht, um satt zu werden, sondern um das Trinken zu verlangsamen. Deutsche Effizienz trifft auf spanische Geselligkeit – kulturelle Lernerfahrung garantiert.
Corrida – das umstrittene Spektakel
Stierkampf ist das heißeste Thema zwischen Madrid und Barcelona. Die eine Hälfte der Spanier findet es barbarisch, die andere Hälfte für Tradition.
Touristen sind gespalten zwischen »kulturellem Erlebnis« und »Tierquälerei«. Die Stiere haben dazu keine Meinung geäußert.
Die Realität: Stierkampf stirbt langsam aus, hauptsächlich unterstützt von älteren Herren in teuren Anzügen und verwirrten Touristen, die denken, sie müssen das gesehen haben. Junge Spanier gehen lieber ins Kino oder schauen Fußball.
Fußball – die wahre Religion
Vergiss Katholizismus, in Spanien ist Fußball die wahre Religion. Real Madrid gegen FC Barcelona ist mehr als ein Spiel, es ist ein kultureller Krieg, der Familien spaltet und Freundschaften beendet. Deutsche Fußball-Effizienz trifft auf spanische Fußball-Leidenschaft.
Spanier diskutieren Fußball beim Friseur, im Supermarkt, und während der Messe (heimlich). Sie können stundenlang über einen Elfmeter von 1987 debattieren und dabei völlig ernst bleiben.
Die Lautstärke – Überleben im akustischen Chaos
Spanier reden laut. Nicht, weil sie schlecht hören, sondern weil Stille verdächtig ist. Deutsche flüstern in Restaurants und fragen sich, warum alle anderen schreien. Spanier schreien in Restaurants und fragen sich, warum die Deutschen so unfreundlich schweigen.
Die Lösung: Akzeptiere, dass spanische Gespräche für deutsche Ohren wie Streit klingen, aber meistens über das Wetter oder die Aufstellung der Lieblingsmannschaft gehen.
Das Temperament – Mythos oder Realität?
Das berühmte spanische Temperament ist wie die deutsche Pünktlichkeit – ein Klischee mit Wahrheitsgehalt. Spanier sind tatsächlich emotionaler, aber nicht unbedingt aggressiver. Sie umarmen Fremde, weinen bei Fußballspielen, und lachen lauter als gesellschaftlich angemessen.
Deutsche Zurückhaltung trifft auf spanische Herzlichkeit – kultureller Schock garantiert, aber meistens positiv.
Überleben zwischen Klischee und Realität
Das moderne Spanien ist eine faszinierende Mischung aus uralten Traditionen und modernem Leben. Die Siesta stirbt aus, aber die Langsamkeit bleibt. Flamenco wird touristisch vermarktet, aber ist kulturell noch immer wichtig. Paella gibt es überall, aber meistens schlecht zubereitet.
Der Survival-Tipp: Nimm die Klischees mit Humor, aber erwarte nicht, dass sie der Realität entsprechen. Spanien ist anders, als du denkst – aber meistens positiv überraschend.
Und denk daran: Während du dich über spanische Eigenarten amüsierst, lachen sich die Spanier über deutsche Sandalen-mit-Socken-Kombinationen kaputt. Kultureller Austausch funktioniert in beide Richtungen.
Das Fazit – typisch spanisch gibt es nicht
Am Ende ist »typisch spanisch« genauso ein Mythos wie »typisch deutsch«. Spanien besteht aus 17 Regionen mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Gewohnheiten. Ein Baske hat mit einem Andalusier ungefähr so viel gemeinsam wie ein Bayer mit einem Hamburger.
Aber die Klischees leben weiter, werden in jedem Reiseführer recycelt, und sorgen für amüsante Verwirrung zwischen Erwartung und Realität. Und das ist vielleicht das Beste daran: Spanien überrascht dich immer noch, egal wie viele Vorurteile du mitbringst.
¡Buen viaje! – Und vergiss nicht, mindestens ein Klischee zu sammeln, um zu Hause mitreden zu können.
Spanien Magazin

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