Energiewende in Andalusien: alte Olivenbäume vs. Solarparks

Die endlosen Olivenhaine der Provinz Jaén prägen seit Jahrhunderten das Gesicht Andalusiens – diese silbergrünen Meere aus uralten Bäumen sind das Herzstück einer ganzen Region.
Doch in letzter Zeit sorgt eine Entwicklung für heftige Diskussionen: Sollen diese traditionsreichen Landschaften modernen Solarparks weichen?
Was zunächst wie ein Konflikt zwischen Vergangenheit und Zukunft aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als deutlich komplexer.
Das Olivenöl-Herz Europas unter Druck
Andalusien besitzt mit rund 1,6 Millionen Hektar das größte zusammenhängende Olivenanbaugebiet der Welt. Die Region produziert über eine Million Tonnen Olivenöl jährlich und deckt damit jährlich 60–80% der spanischen sowie bis zu 40% der Weltproduktion ab. Allein in der Provinz Jaén, dem Herzstück dieser Olivenkultur, stehen 70 Millionen Bäume.
Der Olivenanbau ist weit mehr als nur Landwirtschaft – er ist kulturelle Identität, Wirtschaftsmotor und Lebensgrundlage. Der Sektor generiert über 2,8 Milliarden Euro Jahresumsatz und sichert 23,5 Millionen Arbeitstage, das sind 40% aller Agrarjobs in Andalusien.
Wenn der Klimaschutz zum Konflikt wird
Gleichzeitig verfolgt Spanien ehrgeizige Klimaziele: Bis 2030 sollen mindestens 74% des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Andalusien ist bereits jetzt Spaniens Solar-Vorreiter mit 7.874 MW installierter Photovoltaikleistung – das entspricht 37,8% der regionalen Kraftwerkskapazität.
Das Problem: 25 PV-Parks auf 5.500 Hektar Olivenland in Jaén und Córdoba sind bereits genehmigt. Die rechtliche Grundlage dafür schafft das Gesetz 7/2021 der Junta de Andalucía, das PV-Großanlagen als »öffentliches Interesse« anerkennt.
Besonders umstritten ist dabei Artikel 54 ff. der Ley 24/2013 del Sector Eléctrico, der ab 3 MW die Zwangsenteignung für Projekte von öffentlichem Nutzen erlaubt.
Lopera: Ein Dorf im Zentrum des Sturms
Die 3.700-Einwohner-Gemeinde Lopera in der Provinz Jaén ist zum Symbol des Konflikts geworden. Hier sollen 8 Solarpark-Projekte mit insgesamt 100.000 bedrohten Olivenbäumen realisiert werden – mehr als in jeder anderen Gemeinde der Region.
Die Zahlen sind beeindruckend: Lopera verfügt über jahrhundertealte Haine, die das Landschaftsbild prägen. Bereits in Teilflächen wurden rund 5.000 Bäume gefällt – die Stümpfe sind heute noch sichtbare Zeugen des Konflikts.
Die lokale Kooperative La Loperana gehört zu den entschiedensten Gegnern der Pläne. Sie organisiert Proteste und Klagen gegen die Projekte, die hauptsächlich von Unternehmen wie Greenalia und FRV Arroyadas vorangetrieben werden.
Wirtschaftliche Auswirkungen vor Ort
Für Lopera bedeuten die Solarprojekte einen fundamentalen Wandel: Während die Gemeinde bisher vollständig vom Olivenanbau geprägt war, droht nun der Verlust großer landwirtschaftlicher Flächen.
Die Befürworter argumentieren mit neuen Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen während der Bauphase, die Gegner sehen dagegen den dauerhaften Verlust ihrer wirtschaftlichen Grundlage.
Ein Streit um Zahlen und Wahrheiten
Die Diskussion wird durch widersprüchliche Zahlen angeheizt. Während Bürgerinitiativen wie SOS Rural von 500.000 bedrohten Olivenbäumen sprechen, gibt die Regionalregierung deutlich niedrigere Zahlen an.
Greenalia, einer der Hauptakteure, spricht von 36.022 Bäumen für sieben Projekte in Lopera, Arjona und Marmolejo, während die Junta de Andalucía nur 12.994 Bäume für 14 Genehmigungen in ganz Jaén angibt.
Diese massive Spannbreite zeigt das Kernproblem: Es fehlt an transparenten, einheitlichen Datengrundlagen.
Mehr als nur Bäume: Die ökologische Dimension
Jahrhundertealte Olivenbäume sind wahre Klimahelden: Ein alter Olivenbaum kann jährlich 570 kg CO₂ aufnehmen, während eine Jungpflanze nur 10-30 kg schafft. Die Aktivisten fordern daher Ersatzpflanzungen von etwa 30 Millionen Bäumen, um den Verlust zu kompensieren.
Hinzu kommt der Verlust an Biodiversität: Die alten Olivenhaine bieten Lebensraum für seltene Arten wie den Alzacola rojizo, einen bedrohten Vogel, der in den traditionellen Kulturen seine letzten Rückzugsgebiete findet.
Stimmen aus dem Konflikt
Die Emotionen kochen hoch. Landwirt Francisco Campos bringt es auf den Punkt: »Olivenbäume zu fällen, um Solarmodule zu installieren, ist ein Verbrechen.«
Die Regionalregierung kontert: »Nicht einmal 1% der betroffenen Flächen wurde enteignet«, so Industrieminister Jorge Paradela.
Natalia Corbalán von SOS Rural macht die gesellschaftliche Dimension deutlich: »Die Gesellschaft akzeptiert keinen weiteren Kahlschlag von Olivenkulturerbe.«
Über 130.000 Menschen haben bereits eine Petition gegen weitere Rodungen unterschrieben, die mittlerweile im Regionalparlament behandelt wird.
Hoffnung am Horizont: Agrivoltaik als Kompromiss
Forscher der Universität Córdoba haben eine vielversprechende Alternative entwickelt: Agrivoltaik-Systeme, die Solarmodule und Olivenanbau kombinieren.
Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die gemeinsame Landnutzungseffizienz und auch der Ölertrag pro Hektar steigen – dank des Schattierungsvorteils für die Bäume.
Bei geeigneten Panelhöhen von über drei Metern und angemessenen Reihenabständen profitieren beide Seiten: Die Olivenbäume wachsen besser, und die Solarmodule arbeiten durch die Evapotranspirationskühlung effizienter.
Die rechtliche Kontroverse
Besonders umstritten ist das Instrument der Zwangsenteignung. Kritiker sprechen von einem »Franco-Ära-Paragraphen«, weil die Grundlagen auf Dekreten aus den 1950er-Jahren beruhen.
Die Regionalregierung kann Projekte ab 3 MW als »von öffentlichem Nutzen« deklarieren und damit Enteignungsverfahren einleiten, auch gegen den Willen der Landbesitzer.
Ein Weg nach vorn
Der Konflikt zeigt exemplarisch die Herausforderungen der Energiewende in Europa. Experten fordern ein Moratorium für Kahlschlag auf produktivem Olivenland, den Vorrang für degradierte Flächen und die Förderung von Agrivoltaik-Projekten. Transparente Datenbanken und faire Beteiligungsmodelle für Landwirte könnten die Wogen glätten.
Notwendig sind auch kohärente CO₂-Bilanzen, die berücksichtigen, dass der Verlust alter Olivenbäume als CO₂-Senken den Klimanutzen der Solaranlagen schmälert. Eine nachhaltige Lösung muss sowohl die Energiewende vorantreiben als auch das kulturelle und ökologische Erbe bewahren.
Die Fallstudie Lopera zeigt dabei stellvertretend, wie wichtig es ist, betroffene Gemeinden frühzeitig einzubeziehen und tragfähige Kompromisse zu entwickeln. Andalusien steht vor der Herausforderung, zugleich Solar-Spitzenreiter zu bleiben und sein ikonisches »Meer der Olivenbäume« zu bewahren. Die Lösung liegt vermutlich nicht im Entweder-oder, sondern im innovativen Miteinander von Tradition und Moderne.
Der Ausgang dieses Konflikts wird weit über Andalusien hinaus Signalwirkung haben – für ganz Europa, wo ähnliche Spannungen zwischen erneuerbarer Energie und traditioneller Landwirtschaft zunehmen.
Verfasst am 28. Juli 2025Kommentare

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