Don Quijote 2.0: Die Schlacht um die Petersilieninsel

Du wunderst dich vielleicht über die heftigen und unverhältnismäßig erscheinenden Aktionen und Reaktionen der Spanier und Katalanen im Streit um die Autonomie Kataloniens. Alles nur Theaterdonner. Nicht von ungefähr handelt das spanische Nationalepos Don Quijote vom Kampf eines furchtlosen Ritters gegen Windmühlen.

Eine Fortsetzung dieses Kampfes gab es bereits im Jahr 2002 auf der Isla del Perejil. Dieser Felsen in Größe eines Fußballfeldes heißt auf Englisch Parsley Island und auf Arabisch Leila Laila. Er liegt 250 Meter von der marokkanischen und 13 km von der gegenüberliegenden spanischen Küste entfernt auf afrikanischem Boden, acht Kilometer westlich der spanischen Enklave Ceuta in der Meerenge von Gibraltar.

Der Felsen gehört völkerrechtlich zu Spanien, wird aber auch von Marokko beansprucht. Außer Eidechsen, Käfern, Vögeln und einigen Ziegen lebt dort niemand. Trotz des Namens der Insel findet man keine Petersilie. Also der ideale Platz für die Inszenierung einer Tragikomödie.

Angeblich um nach illegalen Flüchtlingen und Drogendealern zu suchen, landeten im Juli 2002 sechs marokkanische Soldaten mit Flinten und einem Radio auf der Insel. Sie stellten zwei Zelte auf und hissten eine marokkanische Flagge. Ein zufällig vorbeikommendes Patrouillenboot der spanischen Guardia Civil bemerkte die Flagge und landete, um zu nachzusehen, was dort los sei. Die Marokkaner vertrieben die Spanier mit vorgehaltenem Gewehr von der Insel. Die Spanier kehrten nach Ceuta zurück um das Ereignis zu melden.

Im Nu entwickelte der Vorfall ein Eigenleben. Die spanische Zeitung El Mundo erregte sich, der marokkanische König habe es gewagt, eine Konfrontation mit einer der größten europäischen Demokratien loszutreten und forderte, dies müsse ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Eine Blitzumfrage ergab, dass jeder fünfte Spanier wünschte, spanisches Militär solle die Insel stürmen. Im Radio verlangten viele Hörer, die Marokkaner sollten zurück ins Meer geworfen werden. Die Marokkaner ersetzten daraufhin die kleine Truppe durch Marine-Kadetten.

Der damalige stellvertretende spanische Ministerpräsident Rajoy bezeichnete die Besetzung der Insel als unverständlich und feindselig. Überraschend war, dass jegliche Gegenreaktion von Marokko ausblieb. Stattdessen feierten die Marokkaner drei Wochen lang die Hochzeit ihres beliebten Königs Mohammed VI. Der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton und seine Tochter Chelsea waren prominente Gäste dieser landesweiten Party.

Am 18. Juli startete der spanische Ministerpräsident José María Aznar die »Operation Romeo-Sierra«. In der Straße von Gibraltar koordinierte das Amphibienschiff Castilla die spanischen Marineoperationen. Zwei U-Boote umkreisten die Insel, während Patrouillenboote auf die Petersilieninsel zurasten. F-18- und Mirage F-1-Kampfflugzeuge der spanischen Luftwaffe sicherten den Luftraum über der Insel während ein 28-köpfiges Spezialeinsatzkommando aus Cougar-Kampfhubschraubern an Land stürmte und alle Marokkaner kampflos gefangen nahm.

Die »Kämpfer« wurden in das Guardia Civil-Hauptquartier in Ceuta gebracht und umgehend zur marokkanischen Grenze außerhalb der Stadt eskortiert, wo sie unversehrt an Marokko übergeben wurden. Die Spanier stationierten spanische Fremdenlegionäre auf der Insel.

War damit der Fall erledigt? Keineswegs! Die Europäische Union bezeichnete den Vorfall – ohne die Stimme Frankreichs – als die erste militärische Invasion auf westeuropäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Arabische Liga – ohne die Stimme Ägyptens – gab eine Erklärung ab, dass die Petersilieninsel ebenso wie Ceuta und Melilla der Gerichtsbarkeit Marokkos unterliege. Die NATO bestand öffentlich darauf, dass die Insel zu einem Gebiet unter ihrem Schutz gehört. In den USA engagierte sich Außenminister Colin Powell in einer intensiven Vermittlungsmission, um die Spannungen auf der umkämpften Insel zu dämpfen.

Powell betonte die Wichtigkeit des NATO-Bündnisses zwischen den USA und Spanien, aber auch, die seit langem bestehenden guten Beziehungen mit dem gemäßigten arabischen Königreich Marokko. Er knüpfte mit beiden ausländischen Staatenlenkern persönliche Telefonkontakte, in der Hoffnung, die Insel wieder zu dem zu machen, was sie vor dem »Missverständnis« war. Spanien zog daraufhin seine Fremdenlegionäre wieder ab und die Petersilieninsel ist seither wieder unbewohnt.

Die Überreaktion Spaniens und die marokkanische Nicht-Reaktion hatten alle Elemente einer Tragikomödie. Die Erfahrung von Ramja Lachili, einem marokkanischen Ziegenhirten, ist das beste Beispiel dafür. Bald nach der »Schlacht« verlangte Lachili von Spanien eine Entschädigung, da die einmarschierenden spanischen Truppen entweder vier seiner Ziegen als Vergeltung für die Invasion ihres Landes erschossen hatten oder weil die Ziegen von den Hubschraubern, die auf der Insel landeten, einfach zu Tode erschreckt worden waren.

Der spanische Verteidigungsminister räumte ein, dass die Spanier tatsächlich einige Ziegenreste gefunden hätten, als sie die Insel stürmten, behauptete aber, dass die Marokkaner die Ziegen geschlachtet und gegessen hätten. Eine Tragödie für Lachili und seine Ziegen – aber lächerlich und amüsant für die Welt zugleich.

Obwohl die Petersilieninsel nun weltweit bekannt war, unterlief Google 2010 der peinliche Fehler, sie auf Google Earth als marokkanisches Territorium dazustellen.

Im Jahr 2016 kam der Film »La Isla« in ganz Spanien in die Kinos. Er basiert lose auf den Ereignissen der Schlacht auf der Petersilieninsel. Du kannst den Film auf Netflix oder Hulu streamen; und ja, du findest ihn in der Comedy-Abteilung.

Vielleicht erinnert sich Mariano Rajoy im Katalonienkonflikt doch noch an seine Rolle als Don Quijote, die er im Jahr 2002 bei der Rückeroberung der Petersilieninsel gespielt hatte, und kehrt zu einer zivilisierten Auseinandersetzung zurück?

Verfasst am 4. Mai 2018
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