Der hundertjährige Krieg des Dorfes Líjar gegen Frankreich (1883-1983)

Líjar ist ein kleines Dorf mit heute 395 Einwohnern im Nirgendwo im östlichen Winkel der Provinz Almería, nahe der Grenze zur autonomen Region Murcia. Der Ort war früher mal mehr als doppelt so groß, hat aber Mitte des 20. Jahrhunderts durch Auswanderung – unter anderem nach Deutschland – viele Einwohner verloren. Dennoch ist Líjar ein Ort mit einer kuriosen geschichtlichen Bedeutung.
Krieg Líjar Frankreich
Alfons XII. von Spanien (1857–1885) ( Public Domain (CC0) )

Wie 1883 beinahe der Erste Weltkrieg ausbrach

Zwischen Juli 1870 und Januar 1871 fand ein Krieg zwischen Frankreich und Preußen statt, und der Sieg der Preußen führte im Spiegelsaal von Versailles zur Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs. Als Folge des Krieges fiel das von Frankreich beanspruchte Elsass an Deutschland und begann die »Erbfeindschaft« zwischen Frankreich und Deutschland.

Der spanische König Alfons XII unternahm im September 1883 einen Staatsbesuch, der ihn nach Deutschland, Frankreich, Österreich und Belgien führte. Während einer Bankett-Gala in Berlin, die vom deutschen Reichskanzler Bismarck für König Alfons ausgerichtet wurde, deutete der spanische König an, dass Deutschland im Falle eines weiteren Krieges gegen Frankreich die Unterstützung Spaniens erhalten werde. Daraufhin wurde Alfons zum Ehrenoberst der preußischen Ulanengarnison in Berlin ernannt.

Bei seinem anschließenden Staatsbesuch in Frankreich flanierte König Alfons mit seiner preußischen Gala-Uniform durch Paris und wurde von der französischen Regierung sowie von einer großen Anzahl aufgebrachter französischer Bürger empfangen. Über Alfons ergoss sich ein Regen von Beleidigungen und die Pariser bewarfen ihn mit Steinen und faulen Eiern. Nach seiner Rückkehr wurde der spanische Monarch in Madrid von einer jubelnden Menschenmenge empfangen.

Kriegserklärung an Frankreich

Am 14. Oktober 1883 teilte Miguel García, der Bürgermeister des Landstädtchens Líjar, dem Stadtrat mit, dass König Alfonso am 29. September in Paris beleidigt und vom fiesen Pöbel angegriffen worden sei. Als der Stadtrat von dem Affront hörte, dem der König in Frankreich ausgesetzt gewesen war, verkündete er am 14. Oktober 1883 einstimmig folgende Kriegserklärung, die nicht nur der spanischen Regierung zur Kenntnis gebracht, sondern auch direkt an den Präsidenten der Französischen Republik abgesandt wurde:

»Die einfachen Leute der Sierra de los Filabres sollen gegen diesen Angriff auf unseren König protestieren und sich erinnern und überall bekannt machen, dass während der französischen Invasion des Jahres 1808 eine alte und gebrechliche Frau, aber eben eine Tochter Spaniens, eigenhändig dreißig Franzosen abgeschlachtet hat, die in ihr Haus eingedrungen waren. Dieses Beispiel allein muss den Einwohnern des französischen Territoriums genügen um zu verstehen, dass die Stadt Líjar, die nur aus sechshundert kampffähigen Männern besteht, bereit ist, Frankreich den Krieg zu erklären. Somit nimmt es jeder Einwohner dieses Dorfes mit je zehntausend Franzosen auf. Die französische Nation soll wissen, dass Spanien auf seinem Schild das wertvollste Abzeichen der ersten Nation der Welt hat, nämlich nichts weniger als einen Löwen!«

Während des folgenden einhundertjährigen Kriegszustandes kam es zu keinen bedeutenden Zwischenfällen. Die Einwohner überraschten immer mal wieder ahnungslose Touristen aus Frankreich mit Feindseligkeiten und Kriegsspielen. Nachdem sie aber die dazu gehörende Geschichte erzählt hatten, landeten Touristen und Einheimische oft bei einem gemeinsamen Getränk oder einer Mahlzeit, die mit einer Umarmung als Freunde endete.

Es gibt auch eine Reihe von persönlichen Berichten von Reisenden aus Líjar, die sich während ihres Besuchs in Frankreich den Spaß erlaubt hatten, ihren ahnungslosen französischen Gastgebern ihre »Kriegserklärung« zu erläutern. Die »Kontrahenten« lachten oft und genossen ihre Gemeinschaft. Bis heute bleiben lebenslange Freundschaften zwischen den »Kriegsparteien« bestehen.

Friedensvertrag nach 100 Jahren

Am 30. Oktober 1983 wurde vom französischen Konsul in Málaga und Almería und dem Bürgermeister Diego Sánchez Cortes auf dem einzigen Platz des Dorfes ein Friedensvertrag zwischen Líjar und der Republik Frankreich unterzeichnet.

Der Erste Weltkrieg hätte also durchaus schon 1883 ausbrechen können, wenn Frankreich die Kriegserklärung aus Líjar ernster genommen hätte.

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