Spanien-Wahl 2023: Ergebnisse & Informationen zur Parlamentswahl

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nachdem für die linke Regierungskoalition aus PSOE und UI-Podemos desaströsen Wahlausgang bei den Kommunalwahlen Ende Mai, hatte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez die Flucht nach vorn angetreten und die eigentlich für Dezember vorgesehenen Wahlen zur Cortes auf den 23. Juli 2023 vorgezogen.

Mit diesem Schachzug sollte den Oppositionsparteien PP und VOX keine Gelegenheit für einen ausführlichen Wahlkampf gegeben werden. Sánchez lud seinen Kontrahenten, den PP Parteivorsitzenden Alberto Núñez Feijóo, bereits zu sechs wöchentlichen TV-Duellen ein. Dieses Ansinnen hat die PP sofort zurückgewiesen. Der wesentlich agilere Sánchez hätte in solchen direkten Rededuellen deutliche Vorteile. Feijóo hatte als galizischer Regionalpräsident bisher nur im Senat Rederecht, in der Cortes hat er keinen Abgeordnetensitz und keine Redemöglichkeit. Außerdem spricht Feijóo kein Englisch, was für ihn in der Außenpolitik ein Nachteil sein könnte.

Vorläufiges amtliches Ergebnis der Wahlen vom 23. Juli 2023

Obwohl der PP viel hinzugewonnen hat, reicht es für das rechte Lager voraussichtlich wieder nicht zur Übernahme der Regierung, denn auch PSOE hat leicht zugelegt, Sumar hat sich gut geschlagen und VOX hat zu viel verloren. Es kommt also wie bisher auf die kleinen Parteien an.

Die Wahlbeteiligung betrug 70,4%, praktisch unverändert zur letzten Wahl.

Das Endergebnis der Wahlen zum Parlament (Cortes):

ParteiStimmen%SitzeVeränderung
PP8.091.84033,05%136+47 Sitze
PSOE7.760.97031,7%122+2
VOX3.033.74412,39%33-19
Sumar3.014.00612,31%31neu
ERC462.8831,89%7=
JxCAT392,6341,6%7-6
EH Bildu333.3621,36%6+1
EAJ-PNV275.7821,12%5-1
B.N.G.152.3270,62%1=
CCa114.7180,46%1neu
U.P.N51.7640,21%1neu
PACMA165.7680,67%0=
CUP-PR98.7940,4%0-2
España Vaciada3.0690,01%0neu
Podemos-IUn.a.0%0-35
Ciudadanosn.a.0%0-10
Más País-EQn.a.0%0-3
CCA-PNC-NCn.a.0%0-2
NA+n.a.0%0-2
PRCn.a.0%0-1
Teruel Existen.a.0%0-1
Summe350   

n.a. = nicht mehr zur Wahl angetreten

Für eine Regierungsmehrheit sind 176 Sitze erforderlich.

Sumar, ERC, JxCat, EH Bildu, EAJ-PNV und B.N.G. unterstützen meist die Regierung Sánchez. Es handelt sich bei ihnen um Sozialisten, Linke, katalanische und baskische Nationalisten. Sie verfügen zusammen über 179 Sitze.

Die Konservativen und Rechten (PP und VOX) kommen zusammen mit CCa und UPN auf 171 Sitze.

Das Endergebnis der Wahlen zum Senat:

ParteiSitzeVeränderung
PP120+37 Sitze
PSOE72-21
Izquierda7+7
EAJ-PNV4-5
A.H.I1neu
JxCAT-JUNTS1-2
ASG1=
PSOE-Sumar1neu
CCa1-
U.P.N1neu
Summe208 

Bei dieser Wahl wurden 208 von 265 Senatoren neu gewählt.

Jedenfalls hat der PP bei dieser Senatswahl eine absolute Mehrheit erreicht, was aber für die Regierungsbildung unerheblich ist.

Die restlichen 57 Senatoren werden durch die Parlamente der autonomen Regionen bestimmt.

Das amtliche Endergebnis lässt noch auf sich warten. Denn seit dem 28. Juli müssen erst noch die 2.325.310 abgegebenen Stimmen der Auslands-Spanier ausgezählt werden. Am Gesamtergebnis dürfte das nichts mehr ändern, jedoch kann es regional zu einzelnen Verschiebungen kommen.

In Kantabrien, Girona und Madrid könnte der PP zu seinen 136 Sitzen noch drei hinzugewinnen, nämlich je einen von VOX, Junts und PSOE. Dagegen könnte der PP in Salamanca, Teruel und Ceuta drei Sitze verlieren. Der Verlust des Sitzes von Junts in Katalonien könnte dazu führen, dass sich Junts bei der Wahl zum spanischen Ministerpräsidenten der Stimme enthält, statt Sánchez ihre Stimmen zu geben. Die wird er nur bekommen, wenn er Junts Spitzenmann Puigdemont begnadigt. Noch dazu, wo die katalanischen Wähler die Konkurrenzpartei ERC gerade mit dem Verlust von 6 Sitzen abgestraft haben für ihre zu große Zusammenarbeit mit PSOE. Dabei hatte PSOE gerade in Katalonien einen großen Wahlerfolg errungen. Von 48 Sitzen gehen 19 an PSOE, je sieben an Sumar, ERC und Junts. Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitsparteien gibt es also jetzt erst recht nicht umsonst.

Aus Andalusien, der bevölkerungsstärksten Region Spaniens und einstigen linken Hochburg, entsenden der PP 25 Abgeordnete nach Madrid, PSOE 21, VOX 9 und Sumar 6.

Für die Auszählung der Auslandsstimmen bleibt wenig Zeit. Bereits am 31. Juli muss das amtliche Endergebnis verkündet werden.

Daten vom 26. Juli, 21:40 Uhr von elpais.com.

Wie geht es nach der Wahl weiter?

Zunächst treten am 17. August die Cortes und der Senat zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen.

Bis zum 21. August schlägt der König einen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten vor. Vorher haben die Parteien in vertraulichen Gesprächen bereits ausgelotet, wer die Chance hätte, eine Koalitionsregierung zu bilden. Als Wahlsieger dürfte Feijóo als Erster sein Glück versuchen. Wenn er scheitert, darf es Sánchez probieren. Der König richtet sich in der Regel nach dieser Empfehlung. Der Ministerpräsident wird Anfang September nur von den Abgeordneten der Cortes gewählt. Der vom König vorgeschlagene Kandidat verliest zuerst sein Regierungsprogramm. Danach wird abgestimmt.

Ministerpräsident ist, wer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der 350 Abgeordneten der Cortes auf sich vereint. Gibt es so eine Mehrheit nicht, dann gewinnt 48 Stunden später im zweiten Wahlgang, wer mehr Ja- als Neinstimmen auf sich vereinigt. Ergibt sich auch hier keine Mehrheit, dann gibt es nach zwei Monaten einen weiteren Versuch. Scheitert auch der, dann löst der König beide Parlamentskammern auf und es gibt voraussichtlich zu Weihnachten Neuwahlen.

Sánchez und Feijóo könnten die sich anbahnende Unregierbarkeit nutzen und sich nur zu dem Zweck vorübergehend zusammentun, ein neues Wahlrecht zu beschließen. Das könnte verhindern, dass ausgerechnet die separatistischen Kleinparteien, deren einziges Ziel die Abspaltung ihres Landesteils von Spanien ist, bestimmen, wer spanischer Ministerpräsident wird und welche Gesetze beschlossen werden. Für ein neues Wahlrecht müsste man nur die 52 Wahlkreise abschaffen und die Anzahl der Sitze für jede Partei aus ihrem landesweiten Stimmenergebnis bestimmen. Dieses neue Wahlrecht könnte bereits bei der Neuwahl zu Weihnachten 2023 zur Anwendung kommen. Ob beide Politiker bereit sind, über ihren Schatten zu springen und so ein Zweckbündnis einzugehen? Vielleicht kann König Felipe sie dazu überreden?

Allerdings würde auch eine Wahlrechtsreform nichts an dem Grundübel ändern, dass Spanien seit den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in zwei nahezu gleich große politische Lager geteilt ist: die Konservativen und die Sozialisten. Vielleicht könnte die »griechische Lösung« helfen? In Griechenland bekommt die Partei mit den meisten Stimmen noch Bonussitze hinzu, sodass es zu einer absoluten Regierungsmehrheit reicht. Das würde allerdings VOX und Sumar zur politischen Bedeutungslosigkeit verdammen.

Sánchez wieder Ministerpräsident

Der König hatte zunächst Alberto Núñez Feijóo als Führer der stärksten Fraktion mit der Regierungsbildung beauftragt. Feijóo bekam jedoch in der Cortes nicht die erforderliche absolute Mehrheit von 176 Sitzen zusammen. Neben dem linken Wahlbündnis Sumar konnte Sánchez mit den Stimmen der beiden katalanischen Separatisten-Parteien ERC und Junts sowie der Stimme der einzigen Abgeordneten von den Kanaren und mit den Stimmen der Baskischen und der galicischen Nationalpartei rechnen.

Bis zum 27. November durfte es Ministerpräsident Sánchez mit einer 7-Parteien-Koalition versuchen. Diese hätte 179 Stimmen, also 3 mehr als erforderlich. Allerdings musste Sánchez den beiden katalanischen Parteien versprechen, dass sämtliche ca. 400 an dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 beteiligten Politiker amnestiert werden, darunter Carles Puigdemont, der im Brüsseler Exil lebende der Führer der Partei Junts. Der Paragraf zum Aufruhr soll aus dem spanischen Strafgesetz gestrichen werden.

Durch das Land schallte ein Aufschrei der Empörung. In Madrid lieferte sich die Polizei Straßenschlachten mit Anhängern von VOX. Bundeskanzler Scholz, der sich auf einem Kurzbesuch bei Sánchez in Málaga befand, musste drei Stunden in der Parteizentrale von PSOE ausharren, bis er nach Deutschland zurückfliegen konnte. Am 12. November mobilisierte der PP über eine Million Demonstranten in vielen spanischen Städten, darunter auch viele Richter. Feijóo beschwor den Verrat am spanischen Volk, an der Demokratie und am Bestand des spanischen Staats. Dabei wussten die Wähler am 23. Juli, worauf sie sich bei ihrer Stimme für Sánchez einließen. Feijóo hatte es ja oft genug als Drohung an die Wand gemalt.

Zudem sicherte Sánchez der katalanischen ERC zu, dass Katalonien seine eigenen, von RENFE abgetrennten Nahverkehrszüge bekommt. Das rief allerdings Spaniens Eisenbahnergewerkschaft auf den Plan, die bereits mehrere Streiktage angekündigt hat. Die Katalanen erkämpften auch einen Schuldenschnitt von 15 Milliarden Euro, von dem allerdings auch Andalusien profitieren würde, nicht jedoch die reiche Region Madrid. In seiner eigenen Partei bekam Sánchez nur 87% Zustimmung für den Deal mit den katalanischen Separatisten.

Am 16. November gewann Pedro Sánchez bereits die erste Abstimmung in der Cortes mit 179 Ja- und 171 Nein-Stimmen, also 3 Stimmen mehr als für eine absolute Mehrheit erforderlich. Seine 7-Parteien-Koalition aus PSOE (121 Sitze), Sumar (31), katalanischer ERC (7), katalanischen Junts (7), baskischer Bildu (6), baskischer PNV (5), galicischer BNG (1) und der kanarischen Koalition (1) wird also Sánchez die nächsten vier Jahre vor sich hertreiben und bei jeder Abstimmung die Frage aufwerfen: Schafft er es diesmal wieder und zu welchem politischen Preis?

Sánchez hat bereits am 17. November im Zarzuela Palast den Eid vor König Felipe VI. abgelegt.

Auch nicht ganz klar ist, ob das knappe Wahlergebnis von den Richtern des spanischen Verfassungsgerichts oder des Strafgerichtshofs noch angefochten werden kann. Immerhin muss Sánchez ja seine versprochene Änderung des Strafgesetzes gegen Aufruhr und zur Amnestie der katalanischen Separatisten noch rechtssicher durchbringen.

Außerdem haben 51 ehemalige Generäle und Offiziere, die in der frankistischen Organisation AME (Asociación Militares Españoles) zusammengeschlossen sind, die Armee aufgerufen, Präsident Sánchez aus dem Amt zu entfernen. Das Manifest ist vom pensionierten General Yago Fernández de Bobadilla Bufalá unterzeichnet. Die zu AME gehörende WhatsApp-Gruppe hatte bereits 2020 dazu aufgerufen, 26 Millionen Spanier abzuknallen. Gemeint waren damals die spanischen Anhänger der Linken. Das Manifest von AME kann auf der Webseite von AME angesehen werden.

Europas Demokratien sehen unruhigen Zeiten entgegen. Am 15. November hatte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro nicht verbrauchter Corona-Hilfen zugunsten von Klimaprojekten für verfassungswidrig erklärt und damit die deutsche Ampel-Koalition in eine existenzielle Krise gestürzt. Und in Polen hatte zwar die liberale Drei-Parteien-Koalition von Donald Tusk die Wahlen gewonnen, der konservative Präsident Duda tut aber alles, damit die unterlegene PiS-Partei weiter an der Regierung bleiben kann.

Der Wahlkampf in Spanien

Am späten Abend des 10. Juli kam es zum einzigen direkten TV-Duell der beiden Präsidentschaftskandidaten von PSOE und PP in einer Wahlsendung der privaten Sendergruppe Atresmedia, die u.a. zu Bertelsmann gehört. TV-Duelle sind nicht gesetzlich vorgesehen, sondern werden von der Geschäftsleitung eines TV-Senders angeboten, wenn sich ein ausreichend großer Teil der Bevölkerung dafür interessiert. Artikel 66 des Organgesetzes zur Vorbereitung von Wahlen (LOREG) regelt nur, dass die öffentlichen und die privaten Medien die Grundsätze der Gleichbehandlung und des Pluralismus respektieren müssen. In Spanien überwacht der Zentrale Wahlausschuss JEC die Einhaltung von Artikel 66.

Das TV-Duell vom 10. Juli

Hier eine kurze Zusammenfassung des TV-Duells von Sanchez und Feijóo vom 10. Juli:

Beide Kandidaten wurden von ihren Stabschefs begleitet: Pedro Sanchez von Oscar López und Alberto Núñez Feijóo von Marta Varela. Während der Werbepausen dürfen die Stabschefs die Bühne betreten und mit den Kandidaten die Debatte analysieren und Änderungen der Strategie besprechen.

Die Debatte umfasste vier Blöcke: Wirtschaft, Sozialpolitik und Gleichheit, Vereinbarungen und Regierungsführung und staatliche, institutionelle und internationale Politik.

Im Großen und Ganzen lief die Debatte darauf hinaus, dass sich die Kandidaten gegenseitig vorwarfen, mit ihren voraussichtlichen Koalitionspartnern (VOX für den PP, EH Bildu, Sumar und die katalanischen Unabhängigkeitsparteien für PSOE) die politische Stabilität und eine seriöse Regierungsführung zu gefährden. Während Feijóo in seiner Begrüßung Sánchez vorwarf: »Sie sind weder glaubwürdig noch zuverlässig«, bezichtigte Sánchez seinen Kontrahenten des Öfteren der Lüge in Sachfragen. Insgesamt wirkte Sánchez fahriger und aufgeregter, Feijóo hingegen angriffslustiger und ruhiger.

Insgesamt war die Sendung nicht überzeugend. Ein Zuschauer schrieb: »Wir haben heute Abend keine Debatte gesehen. Wir haben ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht gesehen, in dem Beschwörungen gerufen, Vorwürfe gemacht, Witze mit Unterbrechungen und oft völlig unverständlichen Botschaften in die Welt gesetzt wurden. Es gab keine Debatte, geschweige denn eine Fernsehsendung. Als Zuschauer gestehe ich, dass ich nach einer halben Stunde die Verbindung beenden wollte. Und wenn das Fernsehen dazu dient, die individuelle Persönlichkeit der Kandidaten herauszuarbeiten, so gestehe ich, dass sich diese Personifizierung bald im Nebel eines fast grotesken Chaos auflöste.«

Die ausländische Presse sieht mehrheitlich leichte Vorteile für Feijóo, aber bewertet das Duell als Unentschieden. Der schwache Auftritt von Sánchez könnte damit erklärt werden, dass er noch am selben Abend zur NATO-Konferenz nach Vilnius fliegen musste.

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Am 13. Juli gab es um 22 Uhr eine weitere Sendung von RTVE, zu der alle sieben Partien eingeladen waren, die in der Cortes eine eigene Fraktion stellen. Die Fraktionssprecher Patxi López (PSOE), Cuca Gamarra (PP), Iván Espinosa de los Monteros (VOX), Aina Vidal (Sumar), Gabriel Rufián (ERC), Aitor Esteban (PNV) und Oskar Matute (EH Bildu) trafen dort aufeinander. Bemerkenswert war, dass drei der sieben Fraktionsvorsitzenden Politiker aus dem Baskenland sind, nämlich Esteban, Matute und López.

Diese Veranstaltung verlief wesentlich gesitteter als das TV-Duell zwischen Sánchez und Feijóo drei Tage zuvor. Die Debatte konzentrierte sich auch diesmal auf die Frage, welche Koalitionen wünschenswert oder verwerflich seien.

ERC Sprecher Rufian (katalanische Sozialisten) fragte López, ob eine Enthaltung von PSOE zu erwarten sei, damit Feijjóo mit dem PP ohne VOX eine Minderheitsregierung bilden könne. Dies wurde von López kategorisch verneint. Die Frage war nicht ganz unberechtigt, denn Lopéz hatte früher als baskischer Präsident eine sozialistische Regierung mit Duldung durch den PP angeführt. Cuca Gamarra vom PP pochte darauf, die Liste mit den meisten Stimmen regieren zu lassen (das würde voraussichtlich die Liste des PP sein). Hierauf antwortete López, dass PP und VOX bei der letzten Kommunalwahl Regierungsvereinbarungen in Gebieten getroffen hätten, in denen PSOE die meisten Stimmen erhalten hatte: »Wenn Feijóo Pinocchio wäre, würde seine Nase bis zu den Kanarischen Inseln reichen, wo PP einen Pakt geschlossen hat, damit die Liste mit den meisten Stimmen nicht regiert.«

Am 19. Juli erschienen die drei Spitzenkandidaten Sánchez (PSOE), Díaz (Sumar) und Abascal (VOX) zum letzten TV-Schlagabtausch vor der Wahl. 4,15 Millionen Spanier verfolgten den »Auftritt der Drei« am Bildschirm. Feijóo hingegen hatte die Beteiligung des PP abgesagt, mit der Begründung, er mache lieber Wahlkampf auf der Straße.

Hierzu bemerkte die eher konservative Zeitung El País: »Das Letzte, was Feijóo wollte, war, neben Abascal zu erscheinen. Wie jene Leute, die eine Partnerin haben, mit ihr schlafen, ihr aber auf der Straße nicht die Hand geben und deren Freunde nicht wissen, wer sie ist. Weil sie sich schämen.«

Das stärkste Argument gegen einen Regierungswechsel zu den Konservativen ist für PSOE und Sumar weiterhin, dass eine vom PP geführte Regierung zwingend VOX als Juniorpartner benötigt. Damit sollen »anständige« PP-Wähler motiviert werden, am Sonntag nicht an der Wahl teilzunehmen. Seine eigenen Wähler rief Sánchez hingegen auf, zur Wahl zu gehen: »Nächsten Sonntag müssen wir alle wählen gehen und entscheiden, ob wir wollen, dass Spanien am 24. Juli im Jahr 2023 oder im Jahr 1973 aufwacht«.

Der VOX-Vorsitzende Abascal warf seinen Gegnern vor, Daten zu fälschen, und betonte, dass die illegale Einwanderung und der Drogenhandel viele spanische Städte in den Ruin treiben. Er prangerte auch die übermäßige Bürokratie der Europäischen Union an.

Yolanda Díaz, die Vorsitzende der linken Bewegung Sumar, verteidigte die Maßnahmen der Regierungskoalition, stellte aber fest, dass in der progressiven Politik noch viel mehr Fortschritte erzielt werden müssen.

Wie läuft die Spanien-Wahl am 23. Juli ab?

Am 23. Juli 2023 werden von den über 37 Millionen Wahlberechtigten 350 Abgeordnete in die Cortes gewählt. Für diese erste Kammer des Parlaments gibt es nur eine Listenwahl, vergleichbar mit der Zweitstimme bei Wahlen in Deutschland. Allerdings zählt nicht das landesweite Wahlergebnis für den Wahlerfolg jeder Wahlliste, sondern das Land ist in 52 Wahlkreise aufgeteilt.

Die Abgeordnetensitze in jedem Wahlkreis werden nach dem d’Hondtschen Höchstzahlen-Verfahren ermittelt. D.h. der Kandidat an der Spitze der Wahlliste der Partei mit den meisten Stimmen erhält den ersten der in diesem Wahlkreis zu vergebenden Sitze in der Cortes. Normalerweise wäre das der Spitzenkandidat des PP im jeweiligen Wahlkreis. Dann wird das Wahlergebnis dieser Partei durch 2 geteilt und ermittelt, ob sie damit immer noch vorn liegt. Falls nein, bekommt der Spitzenkandidat der Partei mit dem jetzt höchsten Wahlergebnis den zweiten Abgeordnetensitz (z.B. der Spitzenkandidat von PSOE). Auch das Wahlergebnis von PSOE wird jetzt durch 2 geteilt und es wird ermittelt, welche Partei nun die meisten Stimmen hat. Voraussichtlich wird das der zweite Kandidat auf der Wahlliste des PP sein. Dann bekäme dieser PP Kandidat den Parlamentssitz Nr. 3. Das Wahlergebnis von PP und PSOE wird in der dritten Runde durch 3 geteilt und wieder untereinander sowie mit den Wahlergebnissen der übrigen Parteien verglichen. So geht es immer weiter mit der Teilung der Wahlergebnisse von PP und PSOE durch 4, durch 5 usw., bis durch die dauernde Teilung der Wählerstimmen von PP und PSOE erstmals die Liste einer anderen Partei vorn liegt.

Nach den derzeitigen Umfragen wird das VOX sein. Der Spitzenkandidat der Wahlliste von VOX erhält also den ersten Abgeordnetensitz für VOX. Nachdem das Wahlergebnis von VOX durch 2 geteilt wurde, hat vermutlich die Wahlliste von Sumar den höchsten Stimmenanteil. Auch der Spitzenkandidat von Sumar erhält nun einen Sitz in der Cortes. So geht es immer weiter, bis alle 2 bis 38 diesem Wahlkreis zugeordneten Cortes-Sitze den im Wahlkreis angetretenen Parteien zugeordnet worden sind. Das Auszählverfahren nach d’Hondt bevorzugt die großen Parteien etwas und benachteiligt die kleinen Parteien etwas.

Soweit die Theorie, falls in ganz Spanien die Präferenzen für die Parteien gleich verteilt wären. Aber so ist es ja nicht. In Katalonien z.B. liegen regelmäßig die Kandidaten der Parteien vorn, die eine Abspaltung Kataloniens von Spanien anstreben und die im übrigen Spanien gar nicht zur Wahl antreten. Während PP und VOX in Katalonien darum kämpfen müssen, wenigstens einen Sitz in der Cortes zu ergattern. Im Baskenland liegt vermutlich die Autonomiepartei EH-Bildu vorn, unter deren Kandidaten einigen die frühere Mitgliedschaft in der Terrororganisation ETA nachgesagt wird. Auf den Kanarischen Inseln dürfte eine lokale kanarische Wahlplattform die wenigen Cortes-Sitze für sich vereinnahmen. Das ganze Elend dieses gemischten Wahlverfahrens zeigt sich darin, dass landesweit die Tierschutzpartei PACMA immer mehrere Hunderttausend Wählerstimmen einsammelt, was aber nie zu auch nur einem einzigen Abgeordnetensitz in der Cortes ausreicht, während z.B. der Kandidat einer lokalen Partei in der Stadt Teruel bei der letzten Wahl mit 19.761 Stimmen in die Cortes eingezogen ist.

Gleichzeitig werden 208 von 265 Senatoren in den Senat gewählt. Die Senatoren werden vom Wahlvolk direkt gewählt. Das ist vergleichbar mit der Erststimme für die Wahl zum Deutschen Bundestag. Die Senatoren vertreten die autonomen Regionen (vergleichbar mit dem Deutschen Bundesrat). In 59 Wahlkreisen entscheiden die Wähler über ihre Senatsvertretung. Aus jeder Region auf dem Festland ziehen vier Senatoren in den Senat ein; bei den Inseln und den beiden afrikanischen Enklaven sind es, abhängig von ihrer Größe, weniger. Die Regionalparlamente der autonomen Regionen entsenden die restlichen 57 Senatoren.

Ciudadanos treten nicht zur Wahl an

Die ersten Vorboten der Parlamentswahlen am 23. Juli sind bereits sichtbar. So hat die bürgerliche Partei Ciudadanos angekündigt, sich nicht an dieser Wahl zu beteiligen. Ciudadanos war eine neue Partei, die vor fünf Jahren enorm vom Gürtel-Skandal der PP profitierte, aber seither aus praktisch allen Parlamenten und Stadträten rausgeflogen ist.

Von der regierenden UI-Podemos hatte sich die populäre Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Yolanda Díaz mit einer neuen linken Sammlungsbewegung namens Sumar abgespalten. Welchen Einfluss die Bildung neuer Wahlbündnisse auf das Wahlergebnis haben könnte, hat bereits die Zeitung El País untersucht:

Für den Fall, dass die Linke auf getrennten Listen antritt, sagt die Umfrage von El País 132 Parlamentssitze für den PP und 45 für VOX voraus. Das wäre genau ein Sitz über dem zum Regieren nötigen Minimum von 176 Sitzen. Falls die Linke auf einer gemeinsamen Liste antritt, werden für PP 131 Sitze und für VOX 38 Sitze prognostiziert. Das wäre zum Regieren zu wenig und Sánchez könnte wie bisher mithilfe der Stimmen von kleinen regionalen Parteien weiter regieren. Dass eine Regierung aus PP und VOX zustande kommt, falls sie numerisch möglich ist, haben beide Parteien gerade in Valencia bewiesen.

Aber auch auf das linke Lager hätte eine gemeinsame linke Liste Auswirkungen: PSOE käme auf 107 Sitze, Sumar auf 41. Bei getrennten Listen werden PSOE 112 Sitze vorhergesagt, Sumar 22 und Podemos nur noch 3.

Diese Vorhersage hat bereits dazu geführt, dass sich Podemos kurz vor Ablauf der zehntägigen Frist für das Einreichen von Wahllisten bereit erklärt hat, der Liste von Sumar beizutreten. In einer Urabstimmung hatten sich 93% der Mitglieder von Podemos für diesen Schritt ausgesprochen. Mit von der Partie auf der Liste von Sumar sind die Kommunisten von Izquierda Unida, die lokale Partei Compromis aus Valencia, Más Madrid, Más País und die grüne Partei Equo.

Allerdings möchte Yolanda Díaz nicht auf einem Wahlzettel zusammen mit Irene Monteros von Podemos auftreten, während Podemos Irene Monteros unbedingt durchdrücken will. Sumar hat jetzt 8 Tage Zeit, um eine gemeinsame Kandidatenliste einzureichen. Bis dahin muss dieser Streit eine Lösung gefunden haben. Yolanda Díaz hat bereits angekündigt, dass Agustín Santos, der spanische Delegierte bei den Vereinten Nationen, die Nummer 2 auf der Kandidatenliste von Sumar sein wird.

Irene Monteros ist nicht irgendein Podemos-Mitglied. Sie ist die Ehefrau von Julio Iglesias, dem Gründer von Podemos, mit dem sie drei Kinder hat. Iglesias hatte sich vor gut einem Jahr aus allen politischen Ämtern zurückgezogen und den Parteivorsitz an Ione Bellara übergeben. Iglesias unterstützt aber die Kandidatur seiner Frau vehement in den Medien.

Auf der Wahlliste, die Sumar inzwischen eingereicht hat, ist Irene Monteros nicht aufgeführt. Die Listenplätze wurden zwischen den 15 Parteien des Wahlbündnisses Sumar fein austariert. Linke Politiker aus Andalusien haben keinen aussichtsreichen Listenplatz bekommen. Nur wenn es für die Linke sehr gut läuft, könnte María Teresa Pérez, als Nummer 2 von Podemos für Córdoba, einen Abgeordnetensitz ergattern.

Wie Sahra Wagenknecht in Deutschland spaltet Irene Monteros das linke Lager in Spanien. Als Ministerin für Gleichstellung hat sie linke Positionen in den Frauenrechten durchgesetzt. Allerdings ist ihr das Gesetz »Nur ein Ja ist ein Ja« völlig misslungen, da es dazu geführt hat, dass bereits verurteilten Sexualstraftätern ein Teil der Gefängnisstrafe erlassen wurde. Ministerpräsident Sánchez hat unterdessen öffentlich eingeräumt, dass dieses Gesetz der größte Fehler in seiner Amtszeit gewesen ist.

Vier Wochen vor dem Wahltag hat nun der Wahlkampf eingesetzt. Arbeitsministerin Yolanda Díaz, die dem linken Wahlbündnis Sumar vorsteht, hat angekündigt, die Wochenarbeitszeit in der nächsten Legislaturperiode von 40 auf 37 Stunden reduzieren zu wollen, mit dem Fernziel einer 32-Stunden-Woche und alles bei vollem Lohnausgleich.

Hinweis: Einen ausführlichen Überblick über die Parteienlandschaft findest du im Beitrag 'Parteien in Spanien'.

Die Ratspräsidentschaft der EU ist 10 Tage vor der Wahl von Schweden auf Spanien übergegangen. Sowohl Sánchez als auch Manfred Weber von der konservativen Fraktion im EU-Parlament wollten den Wechsel in der Ratspräsidentschaft aus dem Wahlkampf heraushalten und verhandelten über eine Verschiebung der Ratspräsidentschaft für Spanien. Hingegen wandte sich Iratxe Garcia, die spanische Vorsitzende der Sozialisten im EU-Parlament, gegen eine Verschiebung. Inzwischen wurde aber entschieden, dass Spanien ungeachtet eines möglichen Regierungswechsels die Ratspräsidentschaft turnusgemäß übernimmt.

Angesichts einer drohenden Regierungsbildung durch PP und VOX ist die Regierung von Gibraltar in heller Aufregung und hat Konsultationen mit London darüber aufgenommen, was eine rechte spanische Regierung für die immer noch nicht abgeschlossenen Brexit-Verhandlungen über einen Sonderstatus Gibraltars bedeutet. Im schlimmsten Fall würde Gibraltar dann im Grenzverkehr und im Handel behandelt wie Marokko.

Nicht nur die spanischen Parteien wurden durch den auf den 23. Juli vorverlegten Wahltag kalt erwischt, sondern auch die spanische Post Correos. Da die Wahl genau in die Sommerferien fällt, wird ein hohes Aufkommen an Briefwahlstimmen vorhergesagt. Und das in einer Zeit, in der die meisten Postbeamten selbst im Urlaub sind. Der Abgabetermin für die Urlaubswünsche bei der Post war bereits am 9. Juni verstrichen. Jetzt sucht Correos 10.000 Aushilfskräfte zur Bewältigung der Briefwahlflut und steht darüber mit den Gewerkschaften in Verhandlungen.

So viele Briefwähler gab es noch nie. Bis zum sechsten Tag vor dem Wahltermin wurden bei der spanischen Post 2.622.808 Briefwahl-Unterlagen angefordert. Davon müssen noch 300.000 an die Wähler ausgeliefert werden. Der letzte Tag, an dem die ausgefüllten Briefwahl-Zettel an die Wahlbehörde zurückgeschickt werden müssen, ist der 20. Juli. Bisher sind erst 1,6 Millionen Briefwahlstimmen abgegeben worden. Correos hat die Öffnungszeiten der Postämter auf 22 Uhr ausgedehnt, damit es die noch fehlenden 1 Million Briefwähler ebenfalls schaffen.

Welche Auswirkungen der Wahltermin auf die Wahlbeteiligung haben wird, weiß niemand. Einerseits haben Spaniens Wähler bei den Kommunalwahlen deutlich gemacht, dass sie eine Veränderung möchten, andererseits hat seit 1976 noch niemals so eine wichtige Wahl mitten in den Sommerferien stattgefunden. Zusätzlich fällt der 23. Juli auf ein Wochenende, das in vier Regionen mit anderen Feiertagen verknüpft ist.

Verfasst am 20. November 2023
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