Juan Luis Vives (1492–1540)

Soll man einen herausragenden Vertreter der europäischen Kultur, der in Spanien geboren wurde, aber dort nie schöpferisch gewirkt hat, als bedeutenden Spanier würdigen? Nun, bei Pablo Picasso hat man sich offensichtlich dazu entschlossen und daher wollen wir heute diese Ehre auch Jean Luis Vives zuteilwerden lassen, der am 6. März 1492 in Valencia als Sohn zwangsgetaufter spanischer Juden geboren wurde. Immerhin würdigt Spanien ihn mit einer großen Statue in Madrid. Seine Statuen stehen allerdings auch in Heidelberg, Paris, Brügge und Rotterdam und –natürlich – im Innenhof der Bibliothek der Universität von Valencia.

Jean Luis Vives Einfluss auf das europäische Denken wurde möglich, weil die fortschrittlichen, freigeistigen Niederlande damals zu Spanien gehörten. Vives studierte von 1509 bis 1512 an der Sorbonne in Paris Theologie und Philosophie und hielt sich danach an den Universitäten von Leuven und Brügge auf, wo er Erasmus von Rotterdam kennenlernte, mit dem er die Idee des Humanismus weiterentwickelte. Im Humanismus geht es darum, die Würde des Menschen zu achten, gewaltfrei zu leben und sich ständig weiterzubilden.

Vives sprach sich gegen die im Spät-Mittelalter hoch gehaltene Autorität des griechischen antiken Universalgelehrten Aristoteles und gegen die Scholastik aus. Die Scholastik war eine wissenschaftliche Methode, in der es hauptsächlich darum ging, die katholischen Dogmen durch philosophische Spitzfindigkeiten und logisches Argumentieren zu begründen. Als Lehrbücher dienten vor allem die Werke des Aristoteles. Vives hingegen forderte eine wissenschaftliche Beweisführung durch naturwissenschaftliche Experimente. Die herrschende Lehrmeinung ging jedoch davon aus, dass Aristoteles bereits das gesamte benötigte Wissen zusammengetragen habe, sodass eigene Experimente entbehrlich und des Teufels seien.

1523 wurde Vives als Privatlehrer an den englischen Königshof berufen, wo er Maria I., die Tochter des englischen Königs Heinrich VIII., unterrichtete. Er hatte auch eine Professur in Oxford, wo er mit dem englischen Humanisten Sir Thomas More (deutsch: Thomas Morus) zusammenarbeitete. Als Heinrich sich von seiner Frau, der Spanierin Katharina von Aragon scheiden ließ, ergriff Vives Partei für Katharina und wurde deshalb aus England ausgewiesen.

Danach lebte er von einer kleinen Rente in Brügge, die ihm Kaiser Karl V. bezahlte, der Vives bewunderte. Vives setzte sich sehr für das Recht der Frauen auf Bildung ein. Vives gilt als Begründer der modernen Pädagogik und Psychologie. Rousseau, Sartre und Sigmund Freud beriefen sich später auf Vives. Sein Traktat zur Armenfürsorge der Stadt Brügge gilt als Meilenstein der Sozialpolitik. Im 16. und 17. Jahrhundert gehörte Vives neben Erasmus von Rotterdam zu den meistgelesenen Autoren in Europa.

Die Kirchenspaltung durch die Reformation lehnte Vives genauso ab wie die katholische Inquisition. Vives setzte sich für den Frieden zwischen den europäischen Völkern ein. Statt gegeneinander Krieg zu führen, sollten die Europäer gemeinsam der Gefahr durch die Türken trotzen, die 1529 Wien belagerten. Vives hoffte, dass Kaiser Karl V. ein europäischer Friedenskaiser sein würde.

Anders als sein Vater, der auf dem Scheiterhaufen der Inquisition endete, starb der große spanische Europäer Juan Luis Vives am 6. Mai 1540 friedlich in Brügge.

Verfasst am 10. Mai 2023
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